Revolution oder Therapie?

Von Werner Hörtner · · 2012/10

Ist dieses System der Krisen, der Gier, der globalen Ausbeutung denn noch zu retten? Wie umgehen mit einem Patienten, der von der Politik weiter behindert wird statt geheilt?

Mir erscheint, dass im Freundes- und Bekanntenkreis immer häufiger die Frage auftaucht, ob dieses System denn verrückt sei? Das vereinte Europa, das uns von PolitikerInnen und Fachleuten jahrelang als das große Zukunftsprojekt unserer Geschichte präsentiert wurde, soll nunmehr marod oder gar todgeweiht sein? „Schutzschirme“ und anderes Flickzeug sollen den Scherbenhaufen notdürftig zusammenhalten, den uns ein oder mehrere Geburtsfehler dieser Idee eingebrockt haben?

Natürlich gibt es auch Alternativen, gibt es VordenkerInnen, die Perspektiven für andere Entwicklungen aufzeigen, „Wege aus der Krise“, wie etwa das gleichnamige zivilgesellschaftliche Bündnis mit seinem alternativen Budget (www.wege-aus-der-krise.at, siehe auch Termine S.42) – doch die vernünftigen Stimmen, so hat es zumindest den Anschein, verhallen in einem schallschluckenden Raum, den die Politik mit ihrer fatalen Selbstaufgabe errichtet hat.

„Diese Gesellschaft ist nicht mehr revolutionierbar, veränderbar, nur mehr therapiebar“, meint der deutsche „Postwachstumsökonom“ Niko Paech. Er ist einer der wenigen Wissenschafter, der für ein Wirtschaftssystem der Wachstumsrücknahme eintritt. Ein Postulat, das immer noch in den Ohren der PolitikerInnen, der Unternehmer, aber auch der ÖkonomInnen und Gewerkschafter wie ein Menetekel klingt, ein unheildrohendes Zeichen am begrenzten Rand ihrer Vorstellungswelt.

Paechs Ansatz beruht auf einer Wirtschaft der Regionalökonomie, der Subsistenz und der Genügsamkeit. Wir haben in unserer Zeitschrift immer wieder auf diese Alternativen zur herkömmlichen, wachstumsorientierten Entwicklung hingewiesen. Aber der Mut zu einer einschneidenden Veränderung war nie ein Markenzeichen der Lemminge. Oder, wie Paech sagt, die Welt ist nicht veränderbar.

Aber ob Therapie oder Revolution, das ist ja eigentlich nur eine Frage der Bezeichnung. Denn auch eine Revolution, ein revolutionäres Umdenken kann Heilung bringen. Als ich einmal Bruno Kreisky in einem Gespräch fragte, es war kurz nach seinem Abtritt von der politischen Bühne, welchen Lösungsvorschlag er denn für den von Diktaturen und Verarmung gepeinigten lateinamerikanischen Kontinent habe, antwortete er mit einem leichten Unterton der Entrüstung über die blöde Frage: „Aber natürlich eine Revolution. Nur eine Revolution!“ Doch damit meinte er keinen gewaltsamen blutigen Umsturz der Verhältnisse, sondern eine radikale Veränderung der sozialen Ungleichheiten.

Dass soziale Gleichheit nicht nur die politische Stabilität fördert, sondern auch das Wohlbefinden des Einzelnen, ist mittlerweile kein Geheimnis mehr, ist durch Dutzende Studien belegt. Doch leider fährt der Zug auch bei uns in eine andere Richtung.

Also hoffen wir auf – und arbeiten wir für – eine Revolution in den Köpfen, die unser System nachhaltig therapiert, zum Wohle künftiger Generationen.

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